Das Schwedische Modell – Fluch oder Segen für die Prostitution?
Veröffentlicht 13th Dezember, 2020
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In Schweden steht seit 1998 der Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe. Das skandinavische Land will so massiv gegen Menschenhandel und sexuelle Ausbeutung vorgehen. Obwohl zahlreiche weitere Staaten diesen Ansatz wohlmeinend übernommen haben, argumentieren viele Hilfsorganisationen aus Erfahrung gegen das Schwedische Modell.
In der Bundesrepublik Deutschland war Prostitution noch nie verboten. Sie galt zwar seit jeher als ‘sittenwidrig,’ seit der Reform des Prostitutionsgesetzes (ProstG) im Jahr 2001 aber ist die käufliche Liebe juristisch gesehen eine ganz gewöhnliche Dienstleistung, anderen Berufen gleichgestellt. Prostituierte, seitdem auch SexarbeiterInnen genannt, können damit ganz normal in die öffentlichen Kranken-, Arbeitslosen- und Rentenversicherungen eintreten. Seit 2017 gibt es zusätzlich ein Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), in dem unter anderem regelmäßige Gesundheitsberatungen und eine Kondompflicht vorgeschrieben sind. Deutschland zeigt sich bei der Prostitution als ein im internationalen Vergleich äußerst liberales Land, das in den letzten Jahren versucht hat Prostitution so weit wie möglich zu normalisieren, um dadurch den illegalen Untergrund auszutrocknen. Außerdem sollen den dort tätigen Frauen die Grundlagen für ein höheres Maß an Selbstbestimmung geschaffen und gleichzeitig massive Geldflüsse, die eigentlich das organisierte Verbrechen kassiert, durch die Erhebung von Steuern in den Säckel des Staats umgelenkt werden. Soweit zumindest die Theorie. Praktisch gibt es viel Kritik am Vorgehen der deutschen Politik. Besonders FrauenrechtlerInnen und bekannte FeministInnen fordern oftmals bis heute ein Prostitutionsverbot in Deutschland, das in Fachkreisen auch das ‘Bordell Europas’ genannt. Besonders häufig wird dabei lobend auf das sogenannte Schwedische Modell verwiesen, welches hier näher unter die Lupe genommen werden soll. Während sich in Deutschland also in den letzten Jahrzehnten der Weg einer verstärkten Liberalisierung etabliert hat, bevorzugt der schwedische Staat seit dem Jahr 1998 einen geradezu konträren Ansatz.
Was zeichnet das Schwedische Modell aus?
Das Schwedische Modell, auch manchmal Nordisches Modell genannt, verkörpert im Grundsatz eine “Kriminalisierung der entgeldlichen Inanspruchnahme sexueller Dienstleistungen”, also ein gesetzliches Sexkaufverbot. Der Unterschied zu einem Prostitutionsverbot besteht in der Kriminalisierung der Freier, anstatt wie sonst oftmals der Prostituierten. Gesetztes Ziel ist es dabei, Prostitution so weit wie möglich einzudämmen. Um das zu erreichen, fußt das Schwedische Modell auf vier Säulen, die Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen anstoßen:
Kriminalisierung von Sexkauf und der Förderung desselben, durch z.B. Vermietung von Räumlichkeiten zu diesem Zweck.
AnbieterInnen von sexuellen Dienstleistungen werden NICHT bestraft
Angebot von Ausstiegshilfen aus der Prostitution
Mediale und didaktische Aufklärungsarbeit für die Öffentlichkeit
Dieser Vierklang soll auf breiter Ebene Wirkung entfalten und ein angeblich teilweise in der Bevölkerung vorhandenes romantisiertes Bild von der Prostitution verändern. Es geht also darum die Nachfrage auszutrocknen, um das Entstehen eines Angebots zu verhindern.
Was spricht für das Schwedische Modell?
Im Schwedischen Modell wird ausdrücklich die Möglichkeit verneint, dass Prostitution ein ganz normaler Job sein könnte, gar eine Profession wie ein Handwerk.
Als grundsätzliche Annahme unterliegt dem Schwedischen Modell der Gedanke, dass Prostitution in jedem Fall eine gewalttätige Handlung von Männern gegen Frauen ist, bzw. eine unberechtigte Handlung unter Ausnutzung eines unfairen Machtgefälles darstellt. Weiter wird Prostitution als erzwungene Handlung, geschlechtsspezifische Gewalttat sowie als massive Verletzung der weiblichen Integrität angesehen. Laut diesen Betrachtungsweisen, ist eine freiwillige oder gutartige Prostitution unter keinen Umständen möglich. In Schweden ist das Sexkaufverbot Teil eines 1998 in Kraft getretenen Gesetzespakets, das den schönen Namen ‘Frauenfrieden’ (schwedisch: Kvinnofrid) trägt. Hintergrund des Sexkaufverbots ist das Ziel, Frauen zu stärken und Prostitution wird dabei als einer der Hauptgründe für Gewalt gegen Frauen angesehen. Ebenso wird in der schwedischen Auffassung davon ausgegangen, dass Prostitution der Haupttreiber des Menschenhandels ist. Die Logik lautet also: keine Prostitution, kein Menschenhandel. Im Grunde ist das Schwedische Modell also ein feministischer Ansatz, der das allgemeine Wohl der Frau in den Mittelpunkt rückt und über das Recht der freien Berufsausübung oder die sexuellen Wünsche von Freiern stellt. Im Schwedischen Modell wird ausdrücklich die Möglichkeit verneint, dass Prostitution ein ganz normaler Job sein könnte, gar eine Profession wie ein Handwerk. GegnerInnen der Prostitution argumentieren mit den unwürdigen Abhängigkeitsverfähltnissen, in denen sich viele, aber nicht alle, Prostituierte wiederfinden. Sie sehen Prostitution als eine Tätigkeit, die der ausführenden Person physisch und psychisch schadet. Aus Gründen der Humanität und um eine moderne Gesellschaft der gleichberechtigten Geschlechter verstärkt zu etablieren, soll Prostitution gesetzlich verboten sein, die Frau dürfe nicht als käufliche Ware angesehen werden. Zahlreiche Prominente und politische AktivistInnen sprechen sich für eine weltweite Verbreitung des Schwedischen Modells aus und fordern durch Petitionen und offene Briefe die Regierungen zum handeln auf.
Was spricht dagegen?
Kein vernünftiger Mensch wird wohl etwas dagegen haben, wenn gegen sexuellen Missbrauch, Menschenhandel und Ausbeutung verstärkt vorgegangen wird. Allerdings gibt es zahlreiche wissenschaftlich fundierte Argumente gegen das Schwedische Modell, die so auch von Politik und Verbänden vorgetragen werden. So habe sich in Schweden seit Einführung des Sexkaufverbots zwar die Straßenprostitution mehr als halbiert, allerdings stieg die Zahl der Sexanzeigen im Internet im selben Zeitraum um etwa das Zehnfache. In welchem Umfang die Prostitution in Schweden also tatsächlich zurückging, kann aufgrund der vorhandenen Daten nicht abschließend geklärt werden. AktivistInnen und SexarbeiterInnen aus Schweden berichten allerdings von vielen Gefahren und Nachteilen, die sich aus dem Sexkaufverbot ergeben hätten.
Ist das Deutsche Modell wirklich besser?
Deutschland geht seit In-Kraft-Tretens des Prostitutionsgesetzes in 2001 einen geradezu konträren Weg zum Schwedischen Modell. Obwohl sich zahlreiche professionelle SexarbeiterInnen für den Deutschen Weg stark machen, reist die mediale und weltanschauliche Kritik daran nicht ab. Im Endeffekt stehen sich zwei kaum versöhnliche Lager gegenüber.
Zwar stieg der Anteil der BefürworterInnen des Sexkaufverbots in Schweden auf etwa 70% in der Bevölkerung, gleichzeitig hat sich dadurch aber auch die Stigmatisierung von Sexarbeit massiv erhöht. Prostituierte sowie alle die mit ihnen zu tun haben werden verstärkt gesellschaftlich geächtet und ausgegrenzt. Denn Freier tun alles um ihre Identität zu verschleiern, die Frauen wissen noch weniger als zuvor, wen sie da gerade treffen. Weil die Hotels mit den Behörden zusammenarbeiten, bleibt den Frauen oftmals nichts anderes übrig, als mit ihren Freiern in den Wald zu fahren. Die Frauen können sich im Fall von Nötigungen, Missbrauch und Gewalt deutlich schlechter schützen, da sie eben viel mehr auf sich alleine gestellt sind. Auch wird häufig von der Polizei gestürmt, wenn die Behörden mitbekommen, wo gerade jemand inflagranti erwischt werden könnte. Durch die schwerbewaffneten Einsätze kann es immer zu gefährlichen, spontanen Zwischenfällen oder Traumatisierungen kommen. In Frankreich, wo das Schwedische Modell ab 2008 übernommen wurde, berichten 63% der Prostituierten von verschlechterten Lebensbedingungen, 70% haben mehr Angst vor der Polizei als vorher und 42% erleben mehr Gewalt als vor dem Verbot. Inzwischen stellen sich auch NGOs wie Amnesty International oder der schwedische LQBT-Verband RFSL gegen das Sexkaufverbot, da es im Endeffekt das selbst gesetzte Ziel, also die Verbesserung der Lebensbedingungen von Prostituierten, konterkariert.
Liegt die Wahrheit in der Mitte?
Vielleicht könnte man nach dieser Analyse den Schluss wagen, dass ein Sexkaufverbot nach Schwedischem bzw. Nordischem Modell ein ehrenhafter, gut gemeinter Ansatz ist, der beim Realitätstest jedoch an seine Grenzen kommt und sich als nur wenig hilfreich dabei erweist, die Gefahren für Prostituierte zu verringern und damit Frauen zu stärken. Denn wenn eine repressive Gesetzgebung dazu führt, dass die Prostituierten sich von Polizei, SozialarbeiterInnen, Hilfsangeboten und ÄrztInnen abwenden, dann ist im Kern der Sache sicherlich nichts hinzugewonnen. Die Deutsche Aidshilfe etwa formulierte im November 2019, zusammen mit sieben weiteren namhaften Verbänden welche Prostituierte betreuen, ein Positionspapier, in dem ein Sexkaufverbot als “rein symbolische Maßnahme, die in der Realität ihrem Anspruch zuwiderlaufen würde”, bezeichnet wird. In gewisser Hinsicht wirkt es so, als wäre das Schwedische Modell eine populäre und simple Schein-Lösung für eine ziemlich komplexe Fragestellung. Denn auch wenn in Schweden die Ächtung von käuflichem Sex weite Teile der Gesellschaft durchdrungen hat und es immer wieder zu spektakulären Fällen kommt, bei der berühmte überführte Freier ihre gesamte Reputation und wirtschaftliche Existenz verlieren, ist ein echter Rückgang der käuflichen Liebe in keinem Land, das ein Sexkaufverbot eingeführt hat, zu beobachten. Außerdem sind typische negative Begleiterscheinungen von unregulierter, unbeaufsichtigter Prostitution, wie etwa Menschenhandel, Missbrauch, Gewalt und Freiheitsentzug, auch ohne ein Sexkaufverbot bereits hochgradig illegal. Würde also die Einhaltung bereits bestehender Gesetze durch intelligente Maßnahmen verbessert, wäre für die betroffenen Personen schon sehr viel erreicht. Dafür dürfen die Behörden allerdings nicht den Kontakt zur Szene verlieren und vielleicht hilft dabei auch das mutige Eingeständnis, dass ein Prostitutionsverbot noch nirgendwo in der Geschichte der letzten Jahrtausende lange aufrecht erhalten wurde, weil dadurch die bestehenden Herausforderungen und Probleme nur noch verstärkt wurden.