Das Bahnhofsviertel von Frankfurt am Main gilt als eine der sündigsten Meilen des Landes. Der Hauptbahnhof der hessischen Landeshauptstadt ist ein wichtiges Verkehrskreuz für den Personenverkehr und bringt zahlreiche Besucher aus allen Herren Ländern in die Stadt. Neben dem Pelzhandel und Gastronomie hat sich dort seit den 1960er Jahren eine ausufernde Rotlicht- und Drogenszene etabliert.
Die Geschichte des heutigen Frankfurter Bahnhofsviertels beginnt eigentlich nach dem Zweiten Weltkrieg, als Deutschland seine Wunden leckte und von alliierten Soldaten besetzt den Wiederaufbau begann. Im Bahnhofsviertel stationierte Angehörige der US-Streitkräfte, welche die weitgehend unbeschädigten Prachtbauten aus der Kaiserzeit als Unterkunft nutzten, trugen maßgeblich zur weiten Verbreitung der Prostitution im Viertel bei. 1969 eröffnete dort das erste Großbordel (heutiger Name „Crazy Sexy“) in der Elbstraße 49-56. Bald schon folgten weitere Puffs und Laufhäuser dem Ruf – Frankfurts Rotlichtbezirk war geboren. Im Laufe der Jahre hatte sich die Vergnügungsmeile aber von einem frischen aufregenden Ort zu einer zwielichtigen Gegend mit derber Atmosphäre entwickelt und einheimische Prostituierte waren nur noch selten zu sehen. Meist osteuropäische mafiöse Banden hatten alsbald die Oberhand gewonnen und der Ruf des Bahnhofviertels nahm einen massiven Schaden, der teilweise bis heute besteht.
Eine Herausforderung für die Behörden
Die lokalen Behörden haben bis heute alle Hände damit zu tun, die öffentliche Ordnung weitestgehend aufrecht zu halten. Vor allem der offene Drogenmissbrauch sowie der Drogenhandel sind aktuell die dringlichsten Probleme, mit denen sich das Bahnhofsviertel konfrontiert sieht. Es ist kein ungewöhnlicher Anblick dort, wenn sich Junkies in aller Öffentlichkeit gegenseitig Heroin-Spritzen setzen oder Crack rauchen. Gerade deshalb ist die mediale Aufmerksamkeit wichtig für die Gegend, weil sie auf die Missstände die im Viertel herrschen aufmerksam macht. Tägliche Razzien der Polizei sind nur eine von vielen Methoden die von staatlicher Seite angewendet werden, um das Image des Bahnhofsviertels wieder aufzupolieren. Behördliche Maßnahmen finden im Einklang mit umfangreicher Sozialarbeit statt, welche den teils äußerst erbärmlichen Obdachlosen zu einem Ausweg aus ihrer Misere verhelfen soll. Fixerstuben und Streetworker versuchen in unermüdlichem Einsatz, das Schlimmste zu verhindern. Besonders konservative Politiker sind es, die auf strenge Durchsetzung der Gesetze pochen und einer sozialen Verwaltung der Umstände kritisch gegenüberstehen.
Bahnhofsviertel – ein Ort der entsteht
Trotzdem ist das Bahnhofsviertel nicht nur ein Ort der Triebe und Kriminalität, sondern auch eine attraktive Umgebung, in der die ganze Nacht ausgelassen gefeiert wird. Zahlreiche Szenekneipen und Clubs haben sich in der berüchtigten Gegend angesiedelt und sorgen für einen erfrischend neues Lebensgefühl im Zentrum von Frankfurt. Das Viertel wird jünger und lockt Studenten sowie hochqualifizierte Arbeitskräfte aus ganz Deutschland und aller Welt in die Stadt. Dabei kann das Frankfurter Bahnhofsviertel aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden: Es ist möglicherweise kein Ort für Familien oder Menschen mit großem Ruhebedürfnis, jedoch gehört das Viertel genauso zu Frankfurt wie die Europäische Zentralbank, die Mainpromenade oder der Fußballverein Eintracht und ist zu einer geschätzten Heimat für Ansässige und Zugezogene geworden. Das Bahnhofsviertel hat einen ambivalenten Charakter, aber es ist auf einem guten Weg und braucht möglicherweise lediglich noch einen Schubs in die richtige Richtung. Andere Rotlichtbezirke wie zum Beispiel in Hamburg oder Amsterdam machen vor, wie ordentliche, legale Sexarbeit neben einer lebhaften aber im Grunde anständigen Partykultur koexistieren kann. Frankfurt hat jetzt die Chance, das Gute in seinem Bahnhofsviertel zu bewahren, sollte aber unbedingt seine Anstrengungen dorthin gehend fortsetzen, das offensichtliche Elend in den Nebenstraßen zu beenden.
Popularität des Bahnhofsviertels steigt
Obwohl das Bahnhofsviertel vielen Menschen noch als moralischer Sündenpfuhl gilt und als Ort, wo ausländische und einheimische Banden ihren kriminellen Geschäften mehr oder weniger offen nachgehen, steigt die allgemeine Popularität des Quartiers stark an. Denn für die Normalbevölkerung, die nicht an den illegalen Eskapaden der anderen teilnimmt, gilt das Bahnhofsviertel als überraschend sicher. Abgesehen von ein paar Taschendiebstählen sind echte Überfälle oder Vergleichbares relativ selten. Dies macht sich übrigens auch durch die stetig anwachsenden Mietpreise bemerkbar. Immer mehr Studenten, Hipster und junge Gutverdiener entdecken das spannende Viertel für sich, wo eine gewisse Verruchtheit und Internationalität eine prickelnde Atmosphäre ergeben. Auch vor diesem Rotlichtviertel macht die Gentrifizierung allerdings keinen Halt. Im Schatten der Bankentürme haben sich neben orientalischen Imbissen und Mini-Supermärkten inzwischen viele erfolgreiche Startups angesiedelt, die von Frankfurt aus globale Märkte erfolgreich in Angriff nehmen. Im Bahnhofsviertel trifft Tradition auf Moderne, Deutschland auf den Rest der Welt, Armut auf großen Reichtum und der Dreck der Junkies auf den wunderschönen Nizza Park am Wasser. Es sind die Gegensätze, die diesen Ort so dynamisch und interessant erscheinen lassen. Wer bereit ist, auf die verschiedensten Facetten des Lebens zu treffen und keine allzu große Abneigung gegen den Zauber des Rotlichts hat, der findet mitten in FFM einen ganz besonderen Kiez, den es hierzulande so nicht ein zweites Mal gibt.