Käufliche Liebe im Wandel der Zeit – verehrt, verboten, akzeptiert.
Veröffentlicht 10th Dezember, 2020
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Das, was heutzutage meist mit dem Begriff ‘Prostitution’ bezeichnet wird, hat im Laufe der Jahrtausende überall auf der ganzen Welt unterschiedlichste Erscheinungsformen angenommen. Genauso hat sich im Zeitenlauf die Anerkennung und Wertschätzung der in diesem Bereich tätigen Personen gewandelt. Dieser Artikel versucht, einen Überblick über die spannendsten Entwicklungen herzustellen.
Am Anfang war die Lust – so könnte man den Kern des frühen menschlichen Handelns knapp zusammenfassen. Denn erst nach Beginn der Christianisierung vor zweitausend Jahren, begann auch die zunehmende Einschränkung und manchmal sogar Kriminalisierung der Prostitution. Bis dorthin war es allerdings ein weiter Weg und im Rückblick scheinen lange vergangene Zeitalter oft freizügiger gewesen zu sein als das heutige. Bevor die Christianisierung ihren Siegeszug antrat, gab es viele Formen der außerromantischen oder außerehelichen Sexualität, denen allem Anschein nach keineswegs ein sündiges, also negatives Stigma anhaftete. Aber was war es, was ist damals gewesen, das sich von dem, was heute meistens ‘Prostitution’ genannt wird, unterscheidet? Oder stand es um die käufliche Liebe immer schon so wie im 21. Jahrhundert, Prostitution quasi als eine Konstante der Menschheit? Im Folgenden sollen einige Versuche angestellt werden, der Wahrheit näher zu kommen.
Ungewisses Altertum & Entstehung der Begriffe
Das Unterfangen, einen zeitlich exakten Ursprung der Tätigkeit ‘Sex für Geld’ aufzuspüren, ist genauso herausfordernd wie etwa das Auffinden des ersten Schreiners oder Schmids aller Zeiten – es ist schier unmöglich, da die ältesten Funde menschlicher Schriften etwa bis ins 4. Jahrtausend v. Chr. zurückreichen, während die Menschheit an sich bereits etwa 40 Tausend Jahre alt ist. Daher bleibt uns nichts anderes übrig, als die wenigen Quellen die wir haben, nach Hinweisen zu beleuchten. Eine zentrale Rolle spielen dabei die Begrifflichkeiten, denn auch ‘Prostitution’ oder ‘Hure’ sind Benennungen, hinter denen eine Geschichte steht. So entstand der Begriff ‘Prostitution’ erst im lateinischsprachigen Rom vor ungefähr Zweitausend Jahren und bedeutet wörtlich übersetzt in etwa so viel wie ‘sich selbst zur Schau stellen’. Ähnliches gilt für die Bezeichnung ‘Hure’, die circa seit dem 8. Jahrhundert n. Chr. nachgewiesen werden kann und wahrscheinlich aus dem Germanischen stammend so viel wie ‘außerehelich Beischlafende’ bedeutete, also lediglich eine abwertende Bezeichnung für eine ‘Ehebrecherin’ war. Erst seit der Reformation durch Martin Luther im 15. Jahrhundert wird ‘Hure’ als oft diffamierender Begriff für Prostituierte gebraucht. Wer damit beginnt, sich in die frühesten Anfänge des vergüteten Sexes einzulesen, dem wird schnell auffallen, wie vieles das wir gerne in Erfahrung bringen würden, tatsächlich bis heute spurlos in der Vergangenheit vergraben und zwischen unterschiedlichen Interpretationen der HistorikerInnen verschüttet liegt. Dennoch gibt es einige Zeugnisse aus alten Zeiten, die bei einer Spurensuche nach der Geschichte der gesellschaftlichen Akzeptanz des gewerblichen Beischlafs behilflich sind.
Tempelprostitution und heiliger Sex
Im Laufe der Zeit gab es viele Versuche, durch Prohibition die Prostitution zu eliminieren. Doch jedes Mal führte dies zu derartig negativen Auswirkungen, die im Sinne der Vernunft kaum zu dulden waren…
Auf der Suche nach frühesten Nennungen von Tätigkeiten die mit heutiger Prostitution vergleichbar wären, finden sich bereits in einem der ältesten Schriftzeugnisse überhaupt, dem Gilgameschepos, erste Hinweise. In der mindestens aus dem 18. Jahrhundert v. Chr. stammenden Erzählung, die wahrscheinlich aber noch ein paar Jahrhunderte älter ist und aus der Gegend des heutigen Ägyptens und Iraks stammt, werden Jünglinge gegen Bezahlung von Tempeldienerinnen in die Erwachsenenwelt eingeführt. Auch in Quellen aus dem antiken Griechenland werden unterschiedliche Formen von Tempelprostitution erwähnt. Demnach gab es damals Tempel, in denen eine Art rituelle Prostitution stattfand, um quasi mit heiligem Sex der Liebesgöttin Aphrodite zu huldigen. Mit den Einnahmen wurde der Unterhalt und Ausbau des Tempels finanziert. Über die Interpretation der schriftlichen Fundstücke gibt es zum Teil kontroverse akademische Debatten, in denen die eine Seite von männlichem Wunschdenken spricht, während der andere Flügel der Forschergemeinschaft mangelnde Wissenschaftlichkeit anmahnt. In Indien dagegen gibt es bis heute mit den sogenannten Devadasis echte Tempelprostituierte, die der Göttin Yellamma ihr Dasein widmen. Während die Devadasis früher angeblich gebildete und angesehene Personen waren, zeigt sich die Realität heute in einem anderen Licht. Denn weil die Frauen in den letzten Jahrzehnten vermehrt gesellschaftlicher Ächtung ausgesetzt sind und oft bereits in jungen Jahren als Analphabetinnen von ihren bitter armen Familien an die Tempel als Prostituierte verkauft werden, setzen sich immer mehr NGOs für die Abschaffung des traditionellen Prostitutionsritus ein.
Erste echte Bordelle und Regelung von Prostitution
Die Einführung von Bordellen im heutigen Sinne, wird meistens dem athenischen Spitzenpolitiker Solon zugeschrieben, der im Jahr 594 v. Chr. das erste staatliche Bordell eingerichtet haben soll. Es wurde damit in gewisser Hinsicht das Prinzip der Tempelprostitution übernommen, wonach die ‘Obrigkeit’ von der Prostitution zu profitieren habe, in Griechenland über die Einnahmen aus den Bordellen und später in Rom durch eine Steuer, welche die Damen zu entrichten hatten. Ziel all dieser Unterfangen war stets das Selbe: die Regulierung der Prostitution zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, sowie eine staatliche Teilhabe an den hohen finanziellen Umsätzen, die im Gewerbe erzielt werden. Denn die unkontrollierte Prostitution hat seit jeher massive negative Begleiterscheinungen mit sich gebracht, in medizinischer und gesellschaftlicher Hinsicht. Noch Ende des 14. Jahrhunderts n. Chr. werden z.B. in Wien staatliche Bordelle urkundlich erwähnt. Dabei können generell vier unterschiedliche Prinzipien der Prostitutionsregulierung im Allgemeinen unterschieden werden:
Prohibitionsprinzip: Alle Handlungen zur Förderung der Prostitution sowie alle im Bereich Prostitution tätigen Personen werden staatlich verfolgt und bestraft.
Abolitionsprinzip: Ziel ist das Verschwinden der Prostitution. Alle Handlungen im Zusammenhang mit Postitution werden kriminalisiert, mit Ausnahme der Prostituierten selbst, siehe auch: Schwedisches Modell.
Regulationsprinzip: Prostitution wird als existent akzeptiert aber massiv reguliert. Bordelle und Prostituierte benötigen spezielle Genehmigungen, Gesundheitsuntersuchungen und Steuerabgaben sind verpflichtend. Die Tätigkeit gilt weiterhin als sittenwidrig.
Entkriminalisierungsprinzip: Prostitution wird als reguläre Dienstleistung angesehen, also als Sexarbeit. Prostituierte werden zu gewöhnlichen ArbeitnehmerInnen mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Der Staat geht gegen ausbeuterische Verhältnisse vor, wie in anderen Berufszweigen auch.
Im Laufe der Zeit gab es viele Versuche, durch Prohibition die Prostitution zu eliminieren. Doch jedes Mal führte dies zu derartig negativen Auswirkungen, die im Sinne der Vernunft kaum zu dulden waren, vor allem bezüglich der Verbreitung von Geschlechtskrankheiten und sozialer Unruhe. Relativ neu ist das Abolitionsprinzip, wo oftmals das Wohlergehen der Frauen im Mittelpunkt der Argumentation steht. Doch auch dort kann von einem Verschwinden der Prostitution absolut nicht die Rede sein. In Ländern wie Schweden, Dänemark, Irland oder Frankreich, die in den letzten Jahren alle das Abolitionsprinzip nach Nordischem Modell übernommen haben, kann dies beobachtet werden. Weit verbreitet ist das Regulationsprinzip, welches wohl auch Solon damals im Sinn hatte – aus allen Epochen sind Berichte bekannt, wonach staatliche Stellen um eine Regulierung der Prostitution bemüht waren. Deutschland ist ein gutes Beispiel für das Entkriminalisierungsprinzip. Denn mit der Einführung von Prostitutionsgesetz im Jahr 2002 und dem Prostiuiertenschutzgesetz in 2017, hat Deutschland die Sexarbeit weitgehend normalisiert und rechtlich anerkannt: Prostituierten stehen die Sozialversicherungen ebenso offen wie umfangreiche Beratungsangebote. Hinter dem deutschen Weg steht dabei die Einsicht über die praktische Unmöglichkeit, Prostitution tatsächlich eliminieren zu können. Schließlich gibt es einen ethisch korrekten Kern im Sex-Business, an dem nichts auszusetzen ist, solange illegale Begleiterscheinungen verhindert werden können, wie in anderen Industrien ebenso. Am Beispiel Bergbau heißt es schließlich auch: keine Kinderarbeit, keine Zwangsarbeit, keine Ausbeutung, Einrichtung einer Kranken- und Rentenversicherung, Einhaltung der Gesetze. Werden diese Rahmenbedingungen in der Sexarbeit garantiert, würde auch diese Industrie unseren moralischen Grundsätzen entsprechen, falls wir von einem freiheitlichen, modernen und sexpositiven Weltbild ausgehen.
Ein ewiges Auf und Ab – bis heute
Die Historie der Prostitution ist eine Geschichte von Aufs und Abs im wiederkehrenden Wechsel. Mal blüht sie regelrecht auf und dringt in alle Gesellschaftsschichten vor ohne dabei viel Kritik auf sich zu ziehen, etwa im alten Rom oder in den europäischen Metropolen im 19. Jahrhundert. Seit der fortschreitenden Christianisierung der Welt, aber auch unter dem Einfluss anderer Religionen, kommt es immer wieder zu Wellen von mal mehr mal weniger radikaler Bekämpfung der käuflichen Liebe. In dem Zusammenhang ist es interessant auf die Zeit von 904. bis 963 n. Chr. zu verweisen, in der die Päpste und Könige in Rom unter dem Einfluss mächtiger Mätressen standen und die Politik maßgeblich von diesen erfolgreichen Damen bestimmt wurde. Dieses Kapitel der Mätressenherrschaft wird in der heutigen Geschichtsschreibung ganz offiziell ‘Pornokratie’ geheißen und für die Vorstellung, dass sich eine solche Entwicklung bald wiederholen könnte, gehört wohl einiger Mut und eine gewisse Kreativität im Denken dazu. Die Pornokratie hat auf jeden Fall gezeigt, was nicht nur theoretisch sondern auch praktisch möglich ist. Heutzutage zeigt sich die Prostitution in vielfältiger Erscheinung: die einen schaffen an um der Armut zu entkommen, die anderen genießen ein Jetset-Leben inmitten der Oberschicht. Aktuell werden meist die problematischen Facetten der Prostitution thematisiert, oft von der Sozialarbeit nahestehenden FunktionärInnen und PolitikerInnen, wogegen selbstverständlich erstmal gar nichts einzuwenden ist. Aber vielleicht wird es ja eines Tages wieder so sein, dass die Prostituierten selbst das Zepter in die Hand nehmen, die öffentliche Agenda bestimmen und im Hintergrund an den Fäden der Macht ziehen. Ob das dann Mätressen, Hetären, Huren oder Damen mit einer völlig neuen Bezeichnung sein werden, das können wir momentan noch nicht absehen. Aber wir können einiges aus der aufregenden Geschichte der Prostitution lernen und die so tätigen Frauen darin bestärken, dass sie es in allen Lebensbereichen bis ganz nach oben schaffen können.