Die Sexualität der Menschen ist mindestens so alt wie die Menschheit selbst. Kein Wunder, denn ohne Sexualität gäbe es weder Fortpflanzung noch uns. So weit, so logisch. Aber der Mensch wäre nicht der Mensch, wenn er aus Sex nicht, wie aus allem anderen auch, eine Kulturleistung machen würde. Die menschliche Sexualität wird dadurch zu einer echten Kunstform, die fast unendlich ausdifferenziert erscheint. Maßgeblich trugen die großen Sex-Lexika der Menschheit dazu bei, dieses Wissen über Generationen hinweg weiter zu geben. In diesem Artikel stellen wir euch einige der berühmtesten davon vor.
Es sind große Namen, hinter denen sich die Geheimnisse einer erfüllenden Sexualität verbergen. Die entsprechenden Begriffe haben die meisten Menschen irgendwann schon mal gehört, man weiß, dass sie irgendwie mit dem Thema Sex zusammenhängen. Aber wer könnte exakte Inhalte daraus exakt zitieren oder wüsste ganz genau, welches Wissen und welche Künste sich zwischen den Buchdeckeln der Schriften verbergen? Im weiteren Verlauf des Artikels geben wir spannende Einblicke in Jahrtausende altes Wissen, das sich durch Überlieferung zu mindest zum Teil glücklicherweise bis heute erhalten hat. Im Laufe der Zeit haben sich gleich in mehreren, teils weit voneinander entfernten Kulturen, erotische Weisheiten und Lehren etabliert, die uns bis heute begeistern und bereichern. Beginnen wir daher mit dem wohl bekanntesten Werk der Sex-Lexika, dessen Name bis heute von Mythos und Sehnsucht umweht zu sein scheint.
1. Das Kamasutra
Ungefähr zwischen dem zweiten und dem dritten Jahrhundert n. Chr. entstanden die Schriften des Kamasutra. Der Name Kamasutra stammt aus dem indischen Sanskrit und bedeutet übersetzt so viel wie die ‘Verse des Verlangens’. Als der Verfasser gilt ein gewisser Herr Vatsyayana Mallanaga, über den im Westen aber bisher nichts weiter überliefert ist. Die Schriften des Kamasutra werden in sieben Bücher eingeordnet, wobei jedes Buch aus zwei bis zehn Kapitel besteht. Jedes Buch widmet sich einem anderen Gegenstand der Erotik, wodurch schnell deutlich wird, wie umfassend die Thematik sein kann. Im ersten Buch geht es noch viel um das Leben im Allgemeinen und darüber, wie groß die Bedeutung der Erotik für jedes Individuum ist. Im Folgenden werden die stark ausdifferenzierten alten Weisheiten über das Liebesleben beschrieben. Aufgrund der Fülle der Informationen werden hier lediglich ein paar Beispiele aus dem Kamasutra genannt:
Zweites Buch: über Umarmungen, kratzen mit den Nägeln, Beißen mit den Zähnen, Anwendung von Schlägen, Stellungen für den Penetrationssex, sexuelle Gewohnheiten des Mannes, über Oralsex.
Drittes Buch: die Anbahnung bei jungen Damen, deren Verhalten und Erwartungen, die Anbahnung beim Mann des Verlangens, über Hochzeiten.
Viertes Buch: das Verhalten einer Ehefrau, ihr Verhalten bei Reisen des Ehemannes.
Fünftes Buch: über den Charakter von Mann und Frau, Anbahnungen bei Freundschaften, wie man das Wesen eines Gegenübers prüft, über den Harem.
Sechstes Buch: wie man Besucher für sich gewinnt, wie man jemanden wieder los wird, die Wiederaufnahme eines Liebhabers
Siebtes Buch: wie Frauen bezaubern, über sexuell stimulierende Mittel, über Penisvergrößerung und die besonderen Praktiken der Geheimlehre.
Viel Stoff also, den man sich da zu Gemüte führen kann. Aber das macht ja nichts, denn kaum ein Thema ist so interessant wie die Erotik und selbst wer sicher ist schon alles darüber zu wissen, der wird bei der Lektüre des Kamasutra sicherlich nochmals eines besseren belehrt. Zusätzlich als besonders interessant sind sicherlich die zahlreichen Abbildungen hervorzuheben, mit denen die Schriften angereichert sind und praktisch die Umsetzung der teils extravaganten Sexstellungen zeigen.
2. Die Lehre des Tantra
Wie auch das Kamasutra entstanden die Lehren des Tantra, auch Tantrismus genannt, etwa ab dem zweiten Jahrhundert n. Chr. und wurden bis zum neunten Jahrhundert n. Chr. erweitert und vervollständigt. Dabei traten die Tantras genannten Texte bald auch in buddhistischen Ländern wie Nepal, Tibet oder Thailand auf und beeinflussten sich gegenseitig im Laufe der Jahrhunderte. Auch das Yoga wird in den Texten immer wieder erwähnt und als hilfreich für einen gesunden Lebens- und Liebeswandel beschrieben. Tantra an sich ist ist ein äußerst vielfältiger, in viele Strömungen unterteilter Bereich der indischen Philosophie und den hinduistischen Religionen. Tantra alleine auf Erotik und Sex zu reduzieren würde der Komplexität der Tantra Philosophie nicht gerecht werden. Um aber einen groben Einstieg zu wagen kann gesagt werden, dass es im Tantra grundsätzlich um die Erreichung eines besonders reinen, meditativen Zustands geht. Ziel ist es, beim Sex von einem Gefühl der Eingeschnürtheit, zu einem achtsamen, offenen Zustand zu gelangen, der Energie versprüht. So beschreibt es zumindest die bekannte Tantra-Lehrerin Diana Richardson.
Hierzu helfen Atemübungen aus dem Yoga und auch geistige Übungen, die immer das Ziel einer spirituellen Erleuchtung und geistigen Ruhe haben. Kaum verwunderlich also, dass in der westlichen Welt das Tantra meist für die gleichnamigen Tantra-Massagen bekannt ist. Daher spricht man in Europa oder den USA auch von Neotantrismus, weil die hiesigen Lehren oftmals lediglich in Anlehnung an die indischen Traditionen praktiziert werden. Heutzutage und im Westen ist das Tantra auf jeden Fall ein Ansatz, welcher eine höchstmögliche Vereinigung von zwei oder auch mehreren Partnern ermöglichen kann, sowohl im geistigen als auch im erotischen Sinne und einweisende Sex-Lexika zum Thema sind im Buchhandel erhältlich. Die Verbindung von Erleuchtung, Meditation und sexueller Steigerung ist dabei das Besondere am Tantra. In den meisten großen Städten gibt es ein Tantra-Zentrum oder ein auf Tantra-Massagen spezialisiertes Wellness-Studio. Ein Besuch kann allen, die nicht allzu verklemmt sind, nur empfohlen werden.
3. Die erotischen Lehren des Taoismus
Der Taoismus, auch Daoismus genannt, ist die am weitesten verbreitete Religion in China. Es gibt auch eine gleichnamige philosophische Strömung, wobei beide bei allen Unterschieden oft recht eng zusammenhängen. Seit etwa dem vierten Jahrhundert v. Chr. sind Taoistische Lehren und Praktiken nachgewiesen, aber die Kultur reicht nach Schätzungen bis ins 20. Jahrhundert v. Chr. zurück. Die ältesten bekannten taoistischen Weisheiten und Zeichnungen zum Thema Erotik stammen aus dem zweiten Jahrhundert v. Chr. und geben Anleitung und Empfehlungen für ein erfülltes Liebes- und Geistesleben. Wie bei Kamasutra und Tantra handelt es sich auch beim Taoismus um ein fast unüberschaubares Konvolut unterschiedlichster Lehren und Strömungen. Die erotischen Weisheiten des Taoismus genossen auf jeden Fall lange Zeit große Popularität, fielen aber mit dem Beginn der Qing-Dynastie im 17. Jahrhundert der sexfeindlichen Zensur der damaligen Obrigkeit zum Opfer. Die entsprechenden Lehren lebten aber eventuell in veränderter Form in Japan in der Form der Geisha-Kultur fort.
Oftmals geht es in der taoistischen Sexuallehre um die Verhinderung der Ejakulation des Mannes, weil davon ausgegangen wird, dass ein übermäßiger Verlust an Samenflüssigkeit zu einem Verlust an Energie und Nährstoffen sowie einer Verstärkung von Alterungsprozessen führt. Daher ist in den meisten taoistischen Strömungen die männliche Ejakulation weitgehend verpönt, wobei Sex allerdings durchaus erlaubt ist – bloß eben nicht bis zum männlichen Höhepunkt. Wie wichtig im Taoimus die Beschäftigung mit dem Penis ist, zeigt auch eine besondere Form der zum Taoismus gehörenden Qigong Meditation: bei einer Praktik die in etwa mit “Eiserner Unterleib” übersetzt werden kann, heben Meister dieser Disziplin Gewichte von bis zu 120kg nur mit einem um ihr bestes Stück gewickelten Seidentuch ein paar Zentimeter hoch an. Was sich für westliche Augen vielleicht skurril liest, ist tatsächlich eine Wissenschaft für sich und sollte auf Grund der Verletzungsgefahr ausschließlich unter der Aufsicht eines Meisters trainiert werden.
Aber in den erotischen Lehren des Taoismus geht es natürlich nicht lediglich um Männer und deren Potenz, sondern ebenso sehr um die Befriedigung der Frau. Denn auch das bekannte Bild von Ying und Yang stammt aus dem Taoismus und verdeutlicht die Dualität. Die schwarzen und weißen Anteile des kreisförmigen Symbols können als Männlich und Weiblich, Böse und Gut, als Dunkel und Hell und noch als weitere Dualitäten interpretiert werden, wobei der eine Teil immer auch etwas vom Wesen der anderen Hälfte enthält. In der taoistischen Sex-Lehre wird daher davon ausgegangen, dass ein Mann die Frau vollumfänglich sexuell zu befriedigen hat, weil dadurch etwas von der großen Energie der Frau, dem Jing, zum Mann herüber fließt und ihn nachhaltig stärkt. Ähnlich wie im Tantra können sich Interessierte jahrelang dem Taoismus widmen und würden immer noch hinzu lernen. Eine gewisse Beschäftigung mit dem Taoismus lohnt sich in jedem Fall.
4. Ovids Liebeskunst – die Ars amatoria
Der römische Dichter Publius Ovidius Naso, kurz: Ovid, schrieb in den Jahren 1-4 n. Chr. ein Buch in drei Bänden, worin in Form eines Lehrgedichts dargelegt wird, wie ein Mann in Rom am besten eine Frau bzw. eine Frau einen Mann anwerben kann. Sein auf Deutsch ‘Liebeskunst’ genanntes Werk ist bis heute von erstaunlicher Aktualität und erfreut sich auch am Buchmarkt noch einer gewissen Popularität. Im Laufe seiner Ars amatoria erzählt Ovid eine ganze Reihe an Anekdoten und Empfehlungen, wo und wie die unterschiedlichen Geschlechter auf sich aufmerksam machen können. Zum Beispiel empfiehlt er, sich im Zirkus Maximus bei einem Wagenrennen neben die Dame des Begehrens zu setzen und ihr im rechten Moment den aufgewirbelten Sandstaub von den Schultern zu klopfen. Oder er empfiehlt in die Theater und Tempel zu gehen, also an gesellige Orte mit vielen Menschen, weil dies die Wahrscheinlichkeit erhöht auf ein schönes Geschöpf zu treffen. Dabei beschreibt Ovid oftmals in Gleichnissen. Vieles von dem was er aufzählt werden einige Menschen bereits kennen, allerdings sind seine Ausführungen sehr gut geordnet und wahrscheinlich ist für jede Leserin und jeden Leser noch das ein oder andere Fundstück dabei, von dem gelernt werden kann.
Weiter befasst er sich auch mit Hinweisen für Paare die bereits einige Zeit zusammen sind und gibt Tipps fürs Fremdgehen, wenn einer der Partner zum Beispiel auf Reisen ist. Auch das Peinliche in der Liebe und Erotik, also unangenehme Situationen in die jeder einmal geraten kann, sofern er oder sie erotisch und/oder romantisch aktiv ist, wird von Ovid in einem Kapitel analysiert. Erst gegen Ende seines Werkes widmet er sich dann auch explizit den sexuellen Handlungen, wobei er zahlreiche Sexstellungen sowie ihre jeweiligen Vor- und Nachteile beschreibt. Hinzu gibt er einige Ausführungen seiner eigenen Vorlieben zum Besten und empfiehlt diese auch den Lesern, etwa dass Paare immer am besten gemeinsam zum Orgasmus kommen sollten, weil ihm die Ebenbürtigkeit so wichtig sei. Selbstverständlich ist Ovids Liebeskunst nicht immer einfach zu lesen und setzt teilweise auch ein gewisses historisches Verständnis voraus, trotzdem kann die Lektüre jeder Person empfohlen werden, die an den ewigen Weisheiten von Liebe und Erotik interessiert ist. Ovid hat hier in unserer Abhandlung auf jeden Fall seinen festen Platz unter den Sex-Lexika als Verfechter der europäischen Liebeskunst. Wie man an dieser Stelle am Ende des Artikels unschwer erkennen kann, zeigt sich die einfachste Sache der Welt in der Literatur und Philosophie manchmal ganz schön komplex. Aber wer tatsächlich aus dem Gewöhnlichen ausbrechen möchte und sich hin zu einem neuen Level des Genusses entwickeln möchte, der hat hiermit vier unterschiedliche Möglichkeiten für einen Einstieg in unser aller Lieblingsthema kennengelernt.