Meilensteine der Aktfotografie – Ästhetik im Wandel
Veröffentlicht 27th April, 2022
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In der bildenden Kunst ist der Akt bereits seit Jahrhunderten ein beliebtes Thema von MalerInnen aller Art und Herkunft. Im Kern ist ein Akt eine Abbildung eines gänzlich oder teilweise entkleideten bzw. unangezogenen Menschen. Nicht immer muss dabei eine erotische Kontextualisierung durch die KünstlerInnen oder BetrachterInnen eine Rolle spielen. Mit dem Aufkommen der Fotografie im 19. Jahrhundert, etablierte sich die Aktfotografie schnell zu einem der beliebtesten Spielfelder der damals noch neuartigen Technologie. Im Folgenden geben wir einen Einblick in die Geschichte der Aktfotografie und ihre wichtigsten Entwicklungsschritte.
Schon recht bald nachdem der französische Erfinder Nicéphore Niépce im Jahr 1826 die wohl erste Fotografie aller Zeiten anfertigte, wurde der Akt ein beliebtes Motiv dieser so bahnbrechenden Technologie. Ein Pionier der Aktfotografie war dabei der 1800 in Nîmes geborene Eugène Durieu, der sich nach seiner Frühpensionierung im Jahr 1849 ganz dem Fotografieren widmete. Er arbeitete eng mit dem Maler Eugène Delacroix aus Paris zusammen, dessen vorteilhaftes Gesicht von 1978-1995 den französischen 100-Francs Geldschein zierte. Während sich der erfahrene Maler um Haltung und Positionierung der Aktmodelle kümmerte, oblag Durieu die technische Durchführung der Aufnahmen. Durieu war übrigens im Jahr 1853 Gründungsmitglied der ‘Société française de photographie’, der wahrscheinlich ersten fotografischen Gesellschaft der Welt. Zusammen haben die beiden Künstler eindrucksvolle Aktfotografien hinterlassen, die wohl zu den allerersten ihrer Art gehören und auch heute noch absolut ansehnlich sind.
Noch vor 1900: Aktfotografie verbreitet sich stark
Im Laufe der folgenden Jahrzehnte erfreut sich die Aktfotografie einer steigenden Beliebtheit und wird von vielen künstlerisch aktiven ProtagonistInnen angewandt. Ein frühes Beispiel dafür aus Deutschland kann in Friedrich Wilhelm Müller gesehen werden, der, 1867 in Königsberg/Preußen geboren, später unter dem Namen Eugen Sandow internationale Bekanntheit erlangte. Sandow war einer der ersten einem breiten Publikum bekannten Bodybuilder überhaupt, durch seine zahlreichen Kraft-Shows in den USA und ganz Europa war er ein Star der damaligen Zeit um 1900. Die Gewinner des ‘Mr. Olympia’-Bodybuilding-Wettbewerbs bekommen seit 1965 und bis heute eine Sandow nachempfundene Bronzestatue als Trophäe überreicht. Neben seinem körperbildenden Engagement produzierte er auch zahlreiche Aktfotografien von sich selbst, bei denen er das Schönheitsideal griechischer und römischer Statuen zu verwirklichen suchte. Bis heute zählt sein Buch “Kraft, und wie man sie erlangt”, zu einem Klassiker der Sportliteratur und seine fotografischen Werke sind beispielhaft für die Aktfotografie seiner Epoche.
Ab 1920: Fotografie als Massenmedium
Während in den Anfängen der Fotografie die zugrunde liegende Technik noch sehr teuer und kompliziert zu bedienen war, ersetzten ab den 1920 Jahren tragbare Fotokameras die sperrigen Geräte. Ein echter Meilenstein wurde dabei 1925 erreicht, als Leica seine Kleinbildkamera auf der Leipziger Messe erstmals vorstellte. Das Magazin Der Spiegel schreibt dazu:
“Es war das Ende der gestellten Fotografie und die Erfindung des Schnappschusses. Mit der ersten Leica waren Bilder vom wirklichen Leben möglich. Das hatte politische Sprengkraft.”
Und trotzdem änderte dies nichts an Existenz und Popularität der Aktfotografie, die aber im Großen und Ganzen kaum große Veränderungen in puncto der bisherig vorherrschenden Ästhetik hervorbrachte. Neuerungen gab es allerdings dadurch, dass durch die neuen tragbaren Fotokameras auch vermehrt Alltagsszenen abgelichtet wurden. Durch die damals steigende Verbreitung der Freikörperkultur sowie einem – später leider auch missbräuchlich verwendeten – sportlichen Körperideal, kam es durchaus auch zu einer neuen Art des Akts. Die Neuerung erscheint wohl vor allem darin, den Bereich der gestellten Studio-Fotografie zu verlassen und die Aufnahmen im Freien, umgeben von Natur, anzufertigen.
Ab 1940: Pin-ups sorgen für Freude
Ab den 1940ern wurden in den USA die sogenannten ‚Pin-ups‘ sehr populär, als ein Trend, der sich die folgenden Jahrzehnte fortsetzen sollte. Wie der Name schon nahelegt, handelt es sich dabei um Fotos, oder eher kleinere bis mittelgroße Poster, die man an die Wand heftet – auch in den Spind eines Arbeiters etwa, zur Aufheiterung im kräftezehrenden Arbeitsalltag. Besonders beim US-Militär kamen Pin-ups vielfach zum Einsatz um die Moral der Truppe zu erhöhen. Keine geringere als die frühe Marylin Monroe war dabei eine der beliebtesten Pin-ups und wurde mehrfach für das Armee-Magazin “Yank, the Army Weekly” fotografiert. Auch die Flugzeuge der US-Airforce wurden mit Pin-ups bemalt (“Memphis Belle”), was zu einer weiteren Popularität der Pin-up-Kultur beitrug. In den Pin-ups können Vorgänger der später extrem erfolgreichen Erotik-Magazine wie z.B. Playboy oder Hustler gesehen werden, welche die westlichen Gesellschaften der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchaus beeinflussten und auch die Diskussionen über eine Abgrenzung von Aktfotografie zur Pornographie befeuerten.
Moderne Aktfotografie und Modefotografie
Spätestens mit den 1960er Jahren begann die Ära der Models, wobei es aber auch schon früher einige bekannte damals sogenannte “Vorführdamen” gab, etwa Lisa Fonssagrives oder Christa Päffgen. Seitdem stehen Aktfotografie und Modefotografie in einem engen Verhältnis zueinander. Denn beiden Sparten ist das Spiel mit Schönheit, Verführung, Ästhetik und auch Tiefgründigkeit gemein. Die Abgrenzung der Modefotografie von der allgemeinen Aktfotografie könnte man wohl darin finden, dass in der Mode eine Fotografie meist unter dem Mantel einer bestimmten Modemarke entsteht. Es gibt also nicht nur eine Verbindung zwischen Model und FotografIn, sondern auch einen direkten kommerziellen Bezug zu einem Modeunternehmen. Trotzdem finden sich auch in der Modefotografie zahlreiche Beispiele, bei denen der künstlerische Aspekt im Vordergrund steht und die Grenzen von Kunst und bloßem Geschäft verschwimmen oder sogar zeitweise aufgehoben sind. Von frühen Supermodels wie Twiggy bis zu Superstars wie Kate Moss, die Grenzen von Akt und Mode verschwimmen und auch viele SängerInnen wie z.B. Grace Jones produzieren ‘Content’, den man als Aktfotografie beschreiben kann oder sogar muss. Zahlreiche Starfotografen wie etwa Helmut Newton oder David LaChapella widmen sich umfangreich und innovativ bis in die 2000er Jahre und darüber hinaus der Aktfotografie und erzeugen dabei nicht selten beeindruckende Kunstwerke der Schönheit.
Aktfotografie heute: alles nur noch Instagram?
Eigentlich hat sich in den letzten 20 Jahren in der Aktfotografie nichts mehr wesentlich geändert, lediglich einige modische Trends die kommen und gehen sorgen für Abwechslung. Jedoch ist nach der Demokratisierung der Fotografie in den 1920er Jahren, auch in den 2020er Jahren eine intensive Fortführung dieses Demokratisierungsprozesses zu beobachten. Denn besonders durch die weite Verbreitung von Smartphones mit ihren jährlich verbesserten Kameras und soziale Plattformen wie Instagram, ist für eine regelrechte Flut an privat produzierten Aktfotografien gesorgt, wobei die Grenzen zum Kommerziellen oftmals verschwimmen.
Während in den frühen Zeiten der Aktfotografie die Inszenierung noch zum auf den ersten Blick erkennbaren Standard gehörte, wird heutzutage oft das Element des Spontanen mit eingewoben; als würde ein Instagram-Foto den ungeschminkten privaten Alltag der abgebildeten Person zeigen. Aber trotz dieser Entwicklungen ist die sozusagen professionelle Aktfotografie keineswegs am Ende und wird sicherlich noch für sehr, sehr lange Zeit eine der beliebtesten Kunstformen der Welt bleiben.