Proteste und Appelle haben die Politik in Deutschland nicht davon abgehalten, wiederholt temporäre Prostitutionsverbote einzuführen. Während der Seuchenschutz natürlich ein wichtiges Unterfangen ist, führen die staatlichen Maßnahmen zu schwierigen Bedingungen für die SexarbeiterInnen.
Spätestens seit März 2020 wütet das neue Coronavirus bereits in Deutschland und hat den Alltag von Millionen Menschen stark eingeschränkt. Ein ganzes Land befindet sich im Würgegriff einer Pandemie, deren Ende noch bei Weitem nicht absehbar scheint. Während sich die einen über die Maskenpflicht beschweren, befürchten andere die wiederkehrenden Infektionswellen. Wie viele es davon geben wird, kann heute noch niemand wissen. Als eine Folge der Corona-Maßnahmen zum Schutze der Bevölkerung, mussten ganze Branchen weitgehend ihren Geschäftsbetrieb einstellen. Inhaber und Angestellte von Restaurants, Hotels oder Fluggesellschaften und Veranstalter von Events aller Art können ein trauriges Lied davon singen. Für viele ist die Hoffnung der Treiber ihrer noch verbliebenen Kräfte.
10.000 SexarbeiterInnen in NRW – hohe Dunkelziffer
Die komplette Branche der sexuellen Dienstleistungen ist dabei besonders stark betroffen. Bordelle sind ‘seit Corona’ immer wieder geschlossen, ehemals gut frequentierte Etablissements wie Laufhäuser sind zu, die Parkplätze vor den Gebäuden sowie die Rotlichtviertel sind wie ausgestorben – kurz: Prostitution in all ihren Facetten wird immer wieder verboten, meist deutschlandweit und nur mit wenigen Ausnahmen. Dabei gibt es allein in Nordrhein-Westfalen (NRW) rund 10.000 registrierte SexarbeiterInnen, die durch solche Maßnahmen oft komplett ohne Einkommen dastehen. Dabei gehen Behörden davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist und es in Wahrheit auch doppelt oder dreimal so viele Menschen sein könnten, die mit Sexarbeit in NRW ihr Geld verdienen. Das heißt, ein Großteil der Sexarbeit findet immer noch ohne Anmeldung in der Illegalität statt. Laut den staatlichen Datenerhebungen, besitzen außerdem lediglich etwas mehr als 20% der in NRW tätigen Prostituierten einen deutschen Pass. Dies wird von den zuständigen Behörden als ein Hinweis darauf gedeutet, dass viele im Rotlichtgewerbe tätigen Personen keinen regulären Wohnsitz in Deutschland haben und durch häufige Ortswechsel quasi durch die Maschen von sozialen Sicherungsnetzen rutschen und in einer unbeaufsichtigten Grauzone tätig sind und leben. Aber unabhängig von diesen wahrscheinlich realistischen Einschätzungen, sind es vor Allem die offiziell registrierten Sexworker, die ihre Bedürfnisse öffentlich und lautstark äußern. In besonderen Krisenzeiten wie heutzutage, genießen sie das Privileg, als Selbstständige Einzelunternehmer staatliche Hilfen empfangen zu können. Illegal arbeitende Frauen, oftmals aus dem Ausland und ohne festen Wohnsitz in Deutschland, bleibt nur die Schwarzarbeit, inklusive dem Risiko an COVID-19 zu erkranken.
In vielen Städten protestierten die Sexworker
Um auf ihr gegenwärtiges Schicksal in der Corona-Krise aufmerksam zu machen, demonstrieren bereits früh in Hamburg, Stuttgart und Berlin die Sexworker, um von der Politik nicht vergessen zu werden. Aber auch in NRW kam es zu Demonstrationen auf der Kölner Domplatte direkt am Hauptbahnhof. Immer öfter und immer lauter kommt es zu Kundgebungen von SexarbeiterInnen, die sich fragen, warum manche Dienstleistungsbranchen schneller wieder öffnen dürfen als die Prostitutionsbetribe, obwohl dort relativ viele Beschäftigte in relativ prekären Verhältnissen leben.
Illegal arbeitenden Frauen, oftmals aus dem Ausland und ohne festen Wohnsitz in Deutschland, bleibt nur die Schwarzarbeit…
Auch die Verbände BSD, BeSD und UEGD zeigen ein verstärktes Engagement in ihrer Lobbyarbeit. Diese VertreterInnen der Rotlicht-Szene fordern vom Staat eine Gleichbehandlung ihrer Mitglieder sowie eine diskriminierungsfreie Vergabe öffentlicher Hilfsmittel. Die Schwächsten in unserer Gesellschaft dürfen demnach nicht noch mehr Opfer von Diskriminierung und Stigmatisierung werden, indem man sie politisch einfach übersieht und übergeht. Wie in vielen Branchen hofft man auch in der Sexindustrie auf ein baldiges Ende der äußerst geschäftsschädigenden Virus-Pandemie.
Landesregierungen sollten gemeinsam vorgehen
Während der Aufhebungsphase des ersten Lockdowns in Deutschland erwiesen sich die unterschiedlichen Regelungen der Bundesländer als ineffektiver und ungerechter Flickenteppich. Zukünftig sollte in der Hinsicht ein einheitliches Vorgehen der Landesregierungen Abhilfe schaffen. Inzwischen hat die Erfahrung gezeigt, dass sexuelle Dienstleistungen die einen gewissen Körperabstand zulassen, etwa Dominaspiele oder erotische Massagen, zuerst wieder zugelassen werden. Auch Tätigkeiten außerhalb eines Bordells, zum Beispiel als Escort, wo die Kundenkontakte in geringerer Anzahl stattfinden, sind schneller wieder erlaubt als die Öffnung von Etablissements. Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen aus der Vergangenheit, können sich Sexworker auf mögliche wiederkehrende Lockdowns vorbereiten. Durch eine Ausweitung bzw. Anpassung der angebotenen Praktiken, kann die eigene ökonomische Krisensicherheit erhöht werden. Dazu zählen auch Online-Performances im Bereich Webcam-Streaming. Allgemein haben es in der Prostitution tätige Personen aber argumentativ schwer, denn in NRW etwa verweist man nach wie vor auf eine hohe Corona-Ansteckungsgefahr, die bei der Ausübung von Sexarbeit in der Natur der Sache liege. Die Landesregierung in Düsseldorf argumentiert mit der besonderen Gefährdungslage, welche die aktuelle Epidemie mit sich bringe, und bewertet die gesundheitliche Sicherheit der Öffentlichkeit als vorrangig im Vergleich mit den finanziellen Interessen der SexarbeiterInnen. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass ein solches Vorgehen viele Prostituierte in den unkontrollierbaren Untergrund treibt. Just dieser Tage warnte die Beratungsstelle Madonna aus der NRW-Großstadt Bochum vor einem bereits stattfindenden massenhaften Abdriften von Prostituierten in die Illegalität.
Werden die Hygiene-Konzepte greifen?
Dabei sind es gerade die Verbände und Bordellbetreiber, welche mit Hochdruck Hygiene-Konzepte erarbeitet haben und diese breitflächig und ausnahmslos in den Prostitutionsstätten umgesetzt sehen wollen. Viele TeilnehmerInnen der Demonstrationen fragen zu Recht danach, warum Friseurbesuche, Boxsport und Tango-Tanzen eine bevorzugte Behandlung genießen, aber gerade denen, die oft eh schon in Verhältnissen nah der Armut leben, noch zusätzlich Steine in den Weg gelegt werden. Schnell stehen sich in dieser Frage unterschiedliche Lager gegenüber und manche AktivistInnen aus der Rotlicht-Szene sehen sogar ein langfristiges Prostitutionsverbot nahen, das konservative Politiker unter dem Deckmantel des Seuchenschutzes einführen wollen. Denn immer wieder gibt es Vorstöße von politischen Kräften, die sich für Deutschland die Einführung eines Sexkaufverbots nach nordischem Vorbild wünschen, ein Modell, welches sich zunehmender internationaler Bedeutung erfreut.
Deutschlands Nachbarländer sind teilweise weiter
Kunden der Prostitution haben es leicht, wenn sie in Grenznähe wohnen. Denn oftmals weichen die Regeln in den Nachbarländern von den deutschen Vorschriften ab. Bei der Frage danach, ob Sexarbeit zugelassen werden soll oder nicht, geht es eben auch oft um die Frage ob Sexarbeit überhaupt vermieden werden kann oder nicht. Selbst die Deutsche Aidshilfe sieht inzwischen Sexkauf Verbote äußerst kritisch, weil die Fachleute der Organisation live mit ansehen, wie Prostitution in der Illegalität die Verbreitung von Krankheiten fördert. Um eine Analogie zu bemühen: bei der Ausübung eines Sports steht die Sicherheit stets an höchster Stelle, kein Rennfahrer fährt ohne Helm. Und das lässt sich so auch auf den Bettsport übertragen; lasst uns alle bald wieder Spaß haben, mit Safer-Sex und einem kreativ angepassten Hygiene-Konzept für alle Formen der Prostitution in NRW und ganz Deutschland, das in jedem Bordell und Stundenhotel seine Gültigkeit hat.