Feminismus heute – pro Sex und contra Prostitution?
Veröffentlicht 10th Dezember, 2020
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Feminismus und Prostitution, das scheint in vielen Köpfen überhaupt nicht zusammen zu passen. Während die einen die käufliche Liebe als die größtmögliche Ausbeutung von Frauen ansehen, pochen andere darauf, dass auch Frauen das Recht haben, zu tun was auch immer sie für richtig halten.
Über Feminismus und Prostitution zu schreiben, kann ein ziemlich komplexes Unterfangen sein. Denn zwischen dem Ansinnen für eine Stärkung von Frauen auf allen Ebenen einzutreten und der Idee von käuflicher, selbstbestimmter weiblicher Sexualität tut sich ein riesiges Spannungsfeld auf und Argumentationen auf mehreren Ebenen müssen aufwändig entwirrt werden, um eine erste Diskussionsgrundlage zu erhalten. Mehrere parallele Entwicklungen führen dazu, dass alte Gewissheiten durch die Einbeziehung von neuen Sichtweisen einer Aktualisierung bedürfen. Dabei ist von Anfang an eines sicher: der Feminismus an sich hat wohl kaum an seiner vielfältigen Bedeutung eingebüßt. Noch gar nicht lange ist es her, als Jodi Kantor und Megan Twohey mit ihren investigativen Veröffentlichungen 2017 die weltweite Metoo-Bewegung ausgelöst hatten. Und im Corona-Jahr 2020 veröffentlichten zahlreiche Zeitungen Artikel darüber, wie besonders Frauen von der Corona-Krise sowie den damit verbundenen staatlichen Lockdown-Maßnahmen betroffen seien. Für Frauenrechte einzutreten und bestehende Probleme zu benennen, ist unverändert ein Aktivismus von hoher gesellschaftlicher und kultureller Relevanz, der trotz einiger, großer Fortschritte in der Vergangenheit nichts von seiner Aktualität verloren hat. Nachdem in Deutschland durch die Anti-Corona-Maßnahmen für einige Monate faktisch ein Sexkaufverbot in Kraft war, stellt sich aktuell wieder die Frage, wie eigentlich der Feminismus im Jahr 2021 zu Prostititution und Sexarbeit steht?
Eine Debatte mit Tradition
Um hierbei zu einer fruchtbaren Erörterung zu gelangen, ist ein Blick in die Geschichte des Feminismus dienlich, denn das Thema Prostitution wurde in den letzten Jahrzehnten bereits kontrovers und intensiv diskutiert. In den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich daraus eine hitzige Debatte, die heute unter dem Begriff ‘Feminist Sex Wars’ zusammengefasst wird. Unversöhnlich standen sich damals in den europäischen und US-amerikanischen Universitäten und Zeitungen zwei Lager gegenüber, welche beide die reine Lehre und Hoheit über den Feminismus jeweils für sich beanspruchten. Auf der einen Seite waren die sogenannten Radikalfeministinnen, vertreten zum Beispiel durch Catharine MacKinnon, die für ein absolutes Verbot von Pornographie eintraten und für ein Verbot von Prostitution sowieso. Die Radikalfeministinnen argumentierten damit, dass sowohl Pornographie als auch sexuelle Dienstleistungen einer Art bezahlter, legaler Vergewaltigung entsprechen würden und die damit einhergehende Objektivierung und Sexualisierung der Frau sei Ausdruck der männlichen Herschaftsstruktur, die es zu überwinden gelte. Da nach Schätzungen etwa 95% der Prostituierten weiblich sind, sei dies definitiv ein Themenfeld, das in die Zuständigkeit des Feminismus falle. Zu Zeiten, in denen Herren-Magazine wie der Playboy Rekordauflagen feierten, wurden wie als Gegenpol feministische Gruppierungen wie die ‘Women against Pornography’ gegründet. Aus solchen Kreisen wurden Thesen geäußert, wonach Pornos zu Vergewaltigungen in der Realität anstiften würden. Wissenschaftliche Untersuchungen wiesen allerdings nach, dass solche Äußerungen nicht der Faktenlage entsprechen. Auf der anderen Seite aber standen die AnhängerInnen des Sex-positiven Feminismus, vertreten durch Frauen wie zum Beispiel Betty Dodson. Dort wurde die Ansicht etabliert, eine Einschränkung von Sexualität sei nichts anderes als ein patriarchales Werkzeug, um die männliche Herrschaft über die weibliche Lust, wie es in den Religionen und Institutionen wie der Ehe der Fall sei, mit anderen Mitteln fortzuführen. Nach dieser Argumentation kann die Übernahme von sex-feindlichen, biederen, von Männern erfundenen Konservatismen unmöglich zu einem höheren Grad an Freiheit für Frauen führen. Gerade lesbische Gruppierungen aus dem LGBT-Umfeld setzten sich für sexuelle Liberalisierungen ein, da sie selbst von einer Ausweitung der damaligen sexuellen Norm profitieren. Diese Flügelkämpfe werden im Feminismus, der viel heterogener ist als es manchmal scheint, bis heute teils engagiert fortgesetzt.
Differenzen bleiben aktuell
Man kann also bereits an diesem Punkt feststellen, dass das Verhältnis des Feminismus zur Prostitution komplex und divers ist, was genauso für die Zurschaustellung von weiblicher Lust und Nacktheit gilt. Erst jüngst flammte die Debatte neu auf, als Rapperinnen vermehrt begannen, weibliche Lust zum Thema ihrer Songs zu machen. Dafür wurden die Künstlerinnen von feministischer Seite sowohl für ihr Selbstbewusstsein gelobt, als auch für ihre Selbstsexualisierung kritisiert. Es gibt also mehrere Bereiche, in denen von feministischer Seite das vorherrschende Frauenbild kritisiert wird:
Darstellungen von Frauen in Filmen und Musik
Darstellungen von Frauen in der Werbung
Darstellungen von Frauen in der Pornographie
Selbstverständnis gegenüber Frauen in der Prostitution
Dabei ist das Dilemma stets dasselbe: Die Frau darf schön sein, obwohl es keine Definition von ‘schön’ gibt, lediglich unterschiedliche Stile und Schönheitsideale, dabei sollte sie aber nicht zu norm-schön sein, und es ist völlig okay von vielen Männern begehrt zu werden, aber nur wenn die Frau die Oberhand behält und sich von den Männern nichts vorschreiben lässt. Ganz schön viele Vorschriften für eine Frau, die idealerweise maximal selbstbestimmt sein sollte. Hier ist schnell zu erkennen, wie schwierig es auch als Frau sein kann, feministischen Ansprüchen zu genügen. Auf der Suche nach einem weiteren Erkenntnisgewinn wird es sich lohnen, die aktuellen Meinungen einiger bekannter Feministinnen zum Thema Prostitution einzuholen, welches sich von der Pornographie noch einmal wesentlich unterscheidet. Gerade jetzt, wo eine jüngere Generation von Feministinnen für eine sexpositive Weiblichkeit eintritt, die sich durchaus von der anti-männlichen Radikalität und Schönheitskritik ihrer älteren ‘Schwestern’ der 1968er Generation unterscheidet.
Aktuelle feministische Meinungen zur Prostitution
Um das weiterzuführen werfen wir einen Blick auf die Meinungen einiger bekannter deutscher Feministinnen. Als führend in dem Bereich wird bereits seit Jahrzehnten immer wieder Alice Schwarzer genannt. Zu deren Lebzeiten war sie mit den berühmten französischen PhilosophInnen Jean-Paul Sartre und Simon de Beauvoir befreundet und Schwarzer hat die deutsche Frauenbewegung seit den 1970er Jahren maßgeblich mitgeprägt. Sie gilt als genauso wortstark wie umstritten, hat sicherlich viel zur Stärkung der Position der Frau in Deutschland beigetragen, aber auch immer wieder umstrittene Thesen geäußert, etwa indem sie heterosexuellen Sex generell als ein rein männliches Machtinstrument gebrandmarkt hatte. Seit 1975 gibt sie die feministische Zeitschrift ‘Emma’ heraus, in der schon einige Appelle klar gegen Prostitution veröffentlicht wurden.
Schwarzer und ihr weiterer intellektueller Dunstkreis, wovon wohl die meisten kaum in Kontakt mit SexarbeiterInnen stehen dürften, positioniert sich deutlich Anti-Prostitution. Dabei engagieren sich zahlreiche Sozialverbände für das Gegenteil. Diakonie, Frauenrat und Mitternachtsmission, um nur eine Auswahl zu nennen, arbeiten direkt mit Prostituierten zusammen, unterstützen und beraten wo es nötig und gefragt ist. Die gesellschaftlichen Akteure, die sich als Pro-Prostitution zu erkennen geben, argumentieren damit, dass nur eine verstärkte Annerkennung, also die echte Respektierung von Sexarbeit und SexarbeiterInnen, deren Lebenssituation verbessern wird. Unterstützt werden sie dabei von der Wissenschaft und Streetworkern, die beide eine Erhöhung von Risiken für die Prostituierten bei Illegalisierung ihrer Tätigkeit betonen.
Prostitution als Erfahrung
Wie kann man Feministin sein, ohne mit Huren zu sympathisieren?
Salomé Balthuis
Aber was sagen die sex-positiven Feministinnen selbst? Da ist zum Beispiel Salomé Balthuis, die sich in ihrer Escort-Tätigkeit als Nachfahrin der antiken Hetären sieht, also als Luxus-Prostituierte mit intellektuellem Anspruch. Sie ist ein Paradebeispiel für die selbstbestimmte, stolze und völlig freie Prostituierte, die sich für mehrere hundert Euro pro Stunde einfach selbst auslebt. Die studierte Philosophin hält von einem Prostitutionsverbot gar nichts und äußerte erst jüngst die Frage: “Wie kann man Feministin sein, ohne mit Huren zusympathisieren?” Nach ihrer Argumentation verkaufen Prostituierte nicht ihren Körper, sondern eine emotionale und erotische Dienstleistung, genauso wie Tänzerinnen oder Bergarbeiter auch ihren Körper für eine Dienstleistung nutzen. In die gleiche Kerbe schlägt die Autorin Emma Becker. Die Französin lebt seit einigen Jahren in Berlin und stammt wie Balthuis aus gutbürgerlichen Verhältnissen. Aus einer langgehegten Faszination für Prostituierte heraus entschloss sie sich, für zwei Jahre als Hure in einem Bordell zu arbeiten. Von dieser Zeit erzählt ihr autofiktionaler Roman ‘La Maison’. Sie sagt, sie habe diese Zeit als ein ‘empowerment’ erlebt. An schlechten Tagen sei die Arbeit zwar wie Sklaverei gewesen, aber das sei in anderen Jobs genauso. Sie ist gegen Zuhälterei aber für die Legalisierung der Prostitution, denn sie schlussfolgert: “Überall wo Prostitution legal ist, ist es deutlich besser für die Mädchen.”
Die sex-positive Bewegung wächst
Aber es gibt auch andere Feministinnen der jüngeren Generation, die nicht selbst im Rotlicht-Gewerbe arbeiten und Pro-Prostitution sind. Zum Beispiel die Moderatorin und höchst erfolgreiche Autorin Charlotte Roche. Laut einem Interview mit ihr seien das Hauptproblem die Arbeitsbedingungen in den Bordellen, die deutlich verbessert werden sollten. Darum schlug sie die Einführung von ‘Fair-Trade-Puffs’ vor und wunderte sich, warum es in ihrer Heimatstadt Köln so viele Etablissements für Männer gibt, aber nicht ein einziges für Frauen. Gleichzeitig gibt es immer mehr prominente Frauen, die Nacktheit als Ausdruck eigener Stärke betrachten. Etwa die Performance-Künstlerin Milo Moiré, die mit ihren Kunstaktionen immer wieder für Furore in den Medien gesorgt hat und sich für die Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum engagiert. In Anlehnung an ihren Masterabschluss in Psychologie spricht sie anstatt von ‘empowerment’ lieber von ‘embodiment’, der weiblichen Herrschaft über den eigenen Körper. Die Stripperin bzw. Burlesque-Tänzerin Dita von Teese fasst die aktuelle Situation in einem Interview gut zusammen. Nach ihr geht es beim Feminismus darum, dass jede Frau tun und lassen kann was sie will und nicht für ihre Entscheidungen verurteilt wird. Niemandem soll vorgeschrieben werden, was im Namen des Feminismus angeblich zu tun sei. Ihre Aussagen beschreiben die Realität dabei treffend, denn der Feminismus spricht nicht mit einer Stimme, sondern vereint ziemlich heterogene Strömungen der sozialen Frauenbewegung unter einem Begriff. Eines verbindet alle Beteiligten dabei ganz sicher: sie wissen, oft aus eigener Erfahrung, was der Unterschied ist zwischen Ausbeutung und Dienstleistung.