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Interview mit einer Sexarbeiterin: Escort Carmina, 32, aus NRW

In diesem Interview reden wir mit Carmina über Bezeichnungen wie ‚Hure‘, warum sie die Arbeit als Escort zu ihrem Hauptberuf gemacht hat und darüber, was getan werden muss, um das Image von Prostitution aufzufrischen. Hier gehts los:

Hallo Carmina, welche Berufsbezeichnung verwendest du für deine Tätigkeit?

Welche Berufsbezeichnung ich wähle, ist stark vom Kontext abhängig. Wenn ich meine Berufsbezeichnung irgendwo eintragen muss, dann schreibe ich “Model und Escort”. Wenn mich jemand fragt, zu dem ich auch offen sein will, dann sage ich, dass ich erotische Dienstleistungen anbiete. Eine Bezeichnung, die ich aus etymologischen oder historischen Gründen gut finde, ist “Hure”. Der Begriff hat eine sehr lange historische Tradition und mit dieser fühle ich mich verbunden. Für mich hat dies auch keine negativen Konnotationen. Wohingegen ich zum Beispiel das Wort “Nutte” als extrem abwertend finde.

Wie bist du zu deiner aktuellen Tätigkeit gekommen?

Ich sage immer gern, dass ich mein Hobby zum Beruf gemacht habe. Alles begann vor einigen Jahren, in einer Lebensphase, in der ich sowieso privat schon viele Blind Dates hatte. Parallel habe ich damals auch bereits erste Erfahrungen mit erotischen Fotoshootings gesammelt. Zum Escort kam ich aber über eine Anzeige in der Zeitung, in der eine Escortagentur neue Damen suchte. Seit Corona denke ich vermehrt darüber nach, ob ich meine Dienste in Zukunft nicht stärker in den virtuellen Raum verlagern sollte. In dieser unsicheren Zeit muss ich erfinderisch sein und ein Webcam-Angebot könnte eine attraktive Ergänzung sein – zumindestens für die kommenden Monate.

Wie  beeinflusst die Corona-Pandemie deine aktuelle Situation?

Aufgrund der Corona-Schutzmaßnahmen hatte ich den größten Teil des Jahres ein striktes Berufsverbot. Als Selbstständige habe ich aber die Corona-Soforthilfe und anschließend die Grundsicherung beantragt. Grundsätzlich finde ich es gut, dass die Möglichkeit geschaffen wurde, Soforthilfe zu erhalten und dass die Beantragung der Grundsicherung vereinfacht wurde. Mehr erwarte ich von der Regierung auch nicht. Die Grundsicherung hilft mir und nimmt mir die Angst davor, irgendwann ganz ohne Einkommen da zu stehen. Mitte September konnte ich meine Tätigkeit unter Auflagen und mit Hygienekonzept wieder aufnehmen. Das sah dann so aus, dass meine Kunden und ich beide Mund-Nase-Masken trugen. Außerdem habe ich einen Weg gefunden, um die Kontaktdaten meiner Kunden anonym entgegenzunehmen und diskret aufzubewahren. Dafür ließ ich mir die Kontaktdaten in zugeklebten Briefumschlägen geben, die ich nur geöffnet hätte, wenn etwas passiert wäre und ich die Kontakte hätte zurückverfolgen müssen. Das ist zum Glück nie passiert. Nach vier Wochen habe ich die Briefumschläge vernichtet. Anfang November (Anm.: 2020) wurde der Lockdown Light beschlossen. Jetzt dürfen bis auf Weiteres wieder keine körpernahen Dienstleistungen erbracht werden. Das betrifft neben der Prostitution aber auch andere Dienstleistungen, wie etwa normale Massagen oder Kosmetiker.

Wie wirkt sich deine Tätigkeit auf dein Privatleben aus?

Ich gehe offen mit meiner Arbeit um, aber ich wähle auch sorgfältig aus wem ich etwas erzähle und wann ich es erzähle. Konservative Verwandte zum Beispiel müssen es nicht unbedingt erfahren. Ich weiß, wie sie darüber denken und das sie das nicht gutheißen würden. Die Diskussionen mit ihnen dazu möchte ich mir gerne ersparen. 

Was mein Liebesleben angeht, lebe ich bereits seit vielen Jahren polyamor. Das heißt, ich habe im Normalfall mehrere Beziehungen. Dazu zählen klassische Paarbeziehungen, aber auch sogenannte Freundschaft Plus-Beziehungen. Der Job und die Liebe, das passt auf jeden Fall zusammen. Aber nur unter der Bedingung, dass man ehrlich zueinander ist. Wenn ich an jemandem interessiert bin und ihm näher kommen möchte, dann offenbare ich mich bevor etwas passiert. Das heißt, ich erzähle von meinem Job und dass es mit mir keine Exklusivität gibt. Das ist mir absolut wichtig und eine Konsequenz aus ein paar negativen Erfahrungen, die ich gemacht habe, in denen mein Lebensmodell im Nachhinein nicht gut aufgefasst worden ist.

Wie organisierst du deinen Arbeitsalltag, hast du feste Routinen?

Da ich privates und berufliches Sexleben trenne, biete ich einige Dienstleistungen nicht an, für die ich privat aber offen bin – und umgekehrt auch. Dazu gehört zum Beispiel das Küssen. Grundsätzlich spielt Reflexion in meinem Leben eine große Rolle. Mein berufliches Angebot ist daher nicht feststehend, sondern es kommt mal etwas hinzu und mal streiche ich etwas. Als ich mit dem Job angefangen habe, habe ich Kunden beispielsweise noch geküsst, aber schnell gemerkt, dass das für mich nicht stimmig ist und nicht zusammen passt. Seit dem biete ich das nicht mehr an. Inzwischen ist mir die Zuverlässigkeit das Wichtigste bei einem Kunden. Trotz Termin wird man doch noch relativ häufig ohne Entschuldigung wortwörtlich sitzen gelassen. Zum Glück weiß ich, dass das in anderen Branchen auch passiert. Der Elektriker wird auch mal versetzt. 

Erlebst du Stigma oder Diskriminierung durch deine Tätigkeit?

Wenn man in der Sexarbeit arbeitet, begegnet man oft der Frage: “Wie würdest du es finden, wenn deine Tochter oder dein Sohn das macht?” Und obwohl ich selbst in der Branche tätig bin, kann ich die Frage nicht wirklich beantworten. Denn ich kann die moralischen Vorbehalte auf der einen Seite zwar irgendwie nachvollziehen. Auf der andere Seite finde ich jedoch, man sollte die Diskussion nicht nur auf der moralischen Ebene führen, sondern genauso über Zukunftsperspektiven, Einnahmen und Sicherheitsmaßnahmen sprechen – wie eben bei anderen Berufen auch. Grundsätzlich ist die Akzeptanz von Prostitution aber mittlerweile um einiges gestiegen, denke ich. Es gibt inzwischen auch das Prostituiertenschutzgesetz und eine Beratungspflicht. Ein großes Problem bleibt leider, dass es noch viel zu viele Frauen gibt – oft Ausländerinnen –, die an die ganze Sache blauäugig herangehen, denen wahrscheinlich falsche Versprechungen gemacht werden oder die womöglich absichtlich mit falschen Informationen geködert werden. Das Bild von Sexwork in der Öffentlichkeit und der medialen Berichterstattung wird meist von diesen Frauen bestimmt, obwohl die Mehrzahl in der Tat selbstbestimmte, selbstständige Frauen, Männer und Trans-Personen sind.

Vielen lieben Dank, Carmina, für dieses Interview!

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